gucken, wo die türen
Der Sommer
ist vorbei, viele fühlen sich betrogen. |
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Hildesheim
ist schön. 'Modern' und 'überschaubar', wirbt die Stadt am Rand
der norddeutschen Tiefebene, und 'nur 30 Kilometer von der Lähdeshauptstadt
entfernt'. Auf das Briefpapier des Tourismusbüros hat man liebevoll
historische Sehenswürdigkeiten kopiert, darunter zwei zarte Rosen.
Nach Hildesheim kommen jährlich rund 80000 Touristen. In diesem Sommer
haben viele einen Abstecher von der Expo in die 'Rosenstadt' gemacht. Manche allerdings verließen den beschaulichen Ort etwas verschreckt. Schuld daran waren einige Aktionen des Theaterfestivals 'Transeuropa 2000', mit denen die Veranstalter auf sich aufmerksam machen wollten. Auf dem Marktplatz standen zwei Künstler, die sich die Unterarme aneinandergenäht hatten. Einer lief mit echten Schweineköpfen durch die Fußgängerzone, ein dritter führte einen riesigen Stein an einer Hundeleine spazieren. Alles polizeilich erlaubt, für Hildesheim-Touristen aber ziemlich harte Brocken. Geradezu beschaulich dagegen war das Auftreten dreier junger Leute in adretten Uniformen mit Namensschildchen am Revers. Gesa Henselmans, Tilmann Meyer-Faje und Uli Schuster. Sie sind der "Arbeitskreis Mobiler Stadführer", kurz AKMS. Vier Tage lang postierten sie ihren Stand unmittelbar vor der Jacobikirche, davor eine Kreidetafel mit der Aufschrift 'Stadtführungen'. In ihrem Repertoire: Eine Führung durch Hildesheims Wohnkultur, eine durch die Innenstadt. Freitagnachmittag, kurz vor 14 Uhr. Ein Mann mit Pepita-Hut hat sich dem Stand langsam genähert. Die Führung durch die Innenstadt, die will er. Wir werden nie erfahren, wie er sie fand. Irgendwann hat er sich unauffällig zurückfallen lassen - dann war der Mann mit dem Pepita-Hut weg. Die meisten anderen vor ihm aber blieben. 'Geld zurück wollte noch keiner', sagt Tilmann, der die Außen-Tour leitet und dabei gezielt jedes historische Gebäude in Hildesheim auslässt. Stattdessen hält er vor einer Baulücke, in der einst das größte Autokaufhaus der Stadt stand. Für den Stadtführer 'ein Mahnmal für den wirtschaftlichen Aufstieg Hildesheims'. Oder vor einer Passage; die aufgrund ihrer Gestaltung der besonderen Schiebeglastüren zu einer der erfolgreichsten in der ganzen Bundesrepublik avancierte. 'Der Grund dafür liegt auf der Hand', so der Holländer. 'Tagsüber werden diese weggeschoben, das erzeugt eine besondere Kundennähe'. Bei Sätzen wie diesen lacht er nie. Das wäre unprofesionell, denn das Ganze ist eine Performance. 'Wir nutzen die Führungen als Medium', sagt Tilmann. 'Wir machen keinen Film, keine Show, die Führung ist unsere Show. Wir ziehen unsere Jacken an, wir sind Stadtführer, und das Material, das wir zeigen, ist der Inhalt unseres Stückes'. Dazu zählt natürlich die Geschichte der Stadt, aber auch, wie sich die Menschen in ihr einrichten, wie sie ihren Abwasch organisieren, welche besondere Bedeutung einige Gegenstände in ihrem Leben haben. Das ist der Inhalt der Wohnkultur-Führung von Uli Schuster und Gesa Henselmans. Da, wo Türen offen stehen, darf jeder gucken, Schlafzimmer sind tabu. Soweit die Regeln. Mit dieser simplen Einschränkung hatten Gesa und Uli keine Probleme, die Eigentümer der Wohnungen vom Sinn und Zweck ihrer Führungen zu überzeugen. Der AKMS begreift diese als Verwandlung von Alltag in Kunst. |
Pu, der Bär,
begrüßt uns als Aufkleber an der Wohnungstür von Familie
Purian, wir stoßen sie auf, treten ein. 'Die Eltern haben beide
studiert', hallt die Stimme von Expeditionsleiter Uli aus der Küche.
Das stimmt tatsächlich, Uli hat das gründlich recherchiert.
Genau wie alle anderen Sachen, die er in den nächsten anderthalb
Stunden erzählen wird. Wir lernen etwas über Bewegungsdiagramme
in DIN-Küchen, über die funktionale 'Frankfurter Küche
Margarete Schütte-Lihotzkys. Schuster lobt die-Effizenz des Mitropa-Speisewagens,
der damals als Vorbild diente, um die Hausarbeit zu erleichtern. Dann
setzt er an zur Tassenchronik. Er holt eine überdimensionale Müsli-Tasse
aus einem Kiefemregal, die 'Vordiplom-Tasse'. Sie diente der weiblichen
Person des Haushalts zur Reduzierung der selbstbetrügerischen Lernpausen,
'um sich mal eben einen Tee zu kochen'. Zwei weitere Klassiker die Urlaubstasse
(mit der Aufschrift Oslo, Norwegen, Besuch eines Handwerkerdorfes) und
eine 'kranke' Tasse. 'Schon einmal geklebt', weiß Uli. Die hat sie
einmal gekauft, als er eine Gürtelrose hatte.
Frankfurter Rundschau
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